Die neue Frisur
In unserer Straße wohnen meine Familie und ich weit weg von Stadtverkehr und Umweltlärm, sie mündet in eine Sackgasse und die Kinder können sogar noch auf der Fahrbahn spielen.
Zugezogene wissen es auch sehr zu schätzen, dass ein Kindergarten, die Grundschule und Geschäfte auf kurzen Wegen erreichbar sind. Wenn wir Besuch von auswärts bekommen, sagen sie:
„Ihr wohnt aber idyllisch, so schöner alter Baumbestand und diese Ruhe hier!“
Es wurde immer kühler auf dem Kopf, mit jeder Schneise, die die Maschine hinterließ. Im Spiegel erkannte ich mich nicht sofort – ein trauriger Smilie schaute mich an. Ich hielt diesen Anblick nur schwer aus und realisierend, dass ich nun Erfahrungen machen würde, auf die ich lieber verzichtet hätte, freundete ich mich mit meinem Gegenüber an.
Im Haus bedeckte ich den kahlen Kopf mit schönen Tüchern, und außerhalb trug ich gerne die Perücke. Wie gewohnt konnte ich unbefangen den Leuten in der Nachbarschaft begegnen.
„Niemandem ist etwas aufgefallen“, dachte ich, bis eines Tages Ingrid Depp vom Einkaufen kam und mich beim Unkraut jäten im Vorgarten bemerkte.
Ich denke noch: „Die hat mir noch gefehlt!“
Ingrid trug eine Einkaufstüte und im Vorbeigehen kreischte sie mit der schrillen Stimme eines Waschweibes laut von der gegenüber liegenden Seite:
" Hey Eva! Trägst du eine Perücke?"
Ich sinnierte noch:
"Oh je, ich krieg die Krise! Unser Quatschweib der Straße, die Indiskretion in Person! Der werde ich mein Leid bestimmt nicht auf die Nase binden."
Ingrid war nämlich bekannt dafür, mit jedem alles zu bequatschen und es dann auch weiter zu tragen. Manchmal ist ein Geschnatter bei uns auf der Straße und ich habe den Eindruck, eine ganze Schulklasse käme vorbei, aber nein, da ist nur die Ingrid, die mal wieder einen Passanten angesprochen hat.
Nun kam sie herüber und wiederholte laut die Frage:
"Eva, trägst du eine Perücke?"
Ich schwieg - wollte Zeit gewinnen, spielte die Überraschte und fragte empört zurück:
"Wie kommst du denn darauf?!"
Ingrid meinte:
„ Deine Frisur sieht immer so perfekt aus, ich bin schon von Frau Karbunkel gefragt worden, ob du wohl eine Perücke trägst?"
Mir fiel schlagartig ein, dass diese Frau Karbunkel den Namen zu Recht trug, sie war mit der „Depp“ gemeinsam so unangenehm, wie die Häufung dicht beieinander liegender Furunkel.
Da entgegnete ich vorwurfsvoll:
"Warum fragt mich die Karbunkel das nicht selbst?! Ich bin schließlich froh, dass ich nun so eine pflegeleichte Frisur habe, die noch dazu immer perfekt aussieht!"
Ingrid Depp holte gerade tief Luft und wollte zum verbalen Gegenschlag ausholen, da klatschte ihr eine Portion Vogelmist auf ihre Schulter und nun schrie sie wild gestikulierend:
„IIIIIhhhh! So eine Scheiße!“ Schimpfend zog sie davon.
Ich rief ihr noch hinterher:
„Sei froh, dass Elefanten nicht fliegen können!“
copyright © 2011 by Eva-Maria Schmeier