Begegnung

Ich begreife es heute noch nicht, was damals geschehen war. Mitten im Juli des Jahres 2008 wachte ich in der Nacht plötzlich auf und fühlte mich beobachtet. Am Fußende meines Bettes nahm ich die Umrisse einer Gestalt wahr. Im hereinfallenden Lichtschein des Vollmondes  sah ich einen Mann , der mich direkt anblickte.

Ich erschrak und richtete mich schlaftrunken auf, starrte mein Gegenüber fassungslos an und schrie. Niemand schien etwas zu hören, denn mein Mann neben mir schlief fest und bemerkte nichts. Panisch vor Angst wollte ich ihn wachrütteln, griff mit meinen Händen aber durch ihn hindurch und erreichte so nichts. Der Eindringling stand immer noch regungslos da und fixierte mich.

Mein Herz raste wie verrückt und mein Atem stockte und noch während ich realisierte, dass mir niemand helfen konnte, da verschwand der unheimliche Besucher, indem er sich auflöste und nicht mehr sichtbar war. Verängstigt und schweißgebadet warf ich mich auf mein Kopfkissen zurück und befürchtete: „Das war der Tod – er will mich – nun ist alles aus.“

Ich wusste ja, dass ich nur eine fifty-fifty - Chance hatte, aber der Tod an meinem Bett ließ mich nun nichts Gutes ahnen. Wütend, dass es mich getroffen hatte Sagte ich zu mir: „Das ist ein Scheiß Omen! Morgen ist die Operation und nun das! So ein Scheiß Omen!“ Mit dem Schlaf war es nun vorbei.

Diese Zufallsdiagnose bekam ich vor zwei Wochen und es war der Super-Gau für meine Familie. Wir waren im Ausnahmezustand und bis aufs Mark erschüttert. Zusammen hatten wir geweint als ich von dem Behandlungsmarathon, der mir nun bevorstand, berichtete. Ich ging offensiv mit dem Schicksalsschlag um, weihte Verwandte und Freunde ein.  Sie waren natürlich auch besorgt, boten ihre Hilfe an und wünschten uns viel Kraft. Übereinstimmend meinten sie: „Du musst positiv denken!“

Das mit dem „positiv denken“ konnte ich schon nicht mehr hören, aber was sollten sie sonst sagen? Ich wusste es ja selber nicht was gut für mich war, wusste nur, dass es mir fehlen würde – das Leben. Was ich auch noch wusste war, dass ich das nicht alleine durchstehen musste und das sei gut für den Heilungsprozess, meinte der Onkologe.

Sofort morgens erzählte ich aufgeregt meinem Mann von der nächtlichen Begegnung mit dem Tod. Er beruhigte mich aber und meinte: „Das war nicht der Tod, das war dein Schutzengel, er wollte dir mitteilen, dass er dich beschützt. Es ist nicht alles aus!“

Ich  halte mich für realistisch  und glaube was überprüfbar ist, so z.B. glaube ich an das Leben vor dem Tod. Mit der Interpretation des Schutzengels freundete ich mich aber trotzdem an, denn ich brauchte jeden Strohhalm, um diese Krise zu überstehen.

Während der Wartezeit im Krankenhaus hörte ich mir noch ein Lied an:

„Ich habe keine Angst, keine Angst vor Krisen, habe ich nicht grade dann immer Mut bewiesen?

Ich habe keine Angst, mich kann nichts erschrecken, man muss nur den Feind früh genug entdecken.

Ich habe keine Angst, mir nicht treu zu bleiben, nur das was ich will, werde ich unterschreiben.

Ich habe keine Angst, mich kriegt keine klein, stellt sich ein Problem, stelle ich mich darauf ein.

Ich habe keine Angst, nein sie lähmt mich nicht! Ich sehe der Gefahr Offen ins Gesicht.

Ich habe keine Angst, ich habe keine Angst, das sage ich so lange, so lange bis ich es glaube!"

Ich glaube es war von Milva und  wusste, dass ich durch den Krebs nun eine Erfahrung machen würde, auf die ich lieber verzichtet hätte.

copyright © 2011 by Eva-Maria Schmeier